Freihandelsabkommen

Chlorhähnchen

„… Am heftigsten beklagt sich der Verband der Biotechnik-Unternehmen (BIO), zu dem auch der Branchengigant Monsanto gehört, über „die signifikante und weiter wachsende Lücke“ zwischen „der Freigabe neuer Biotechnologie-Produkte in den Vereinigten Staaten und der Zulassung dieser Produkte in der EU“.(8) Monsanto und die anderen BIO-Unternehmen hoffen, diesen „Rückstau bei der Zulassung/Verwendung von genveränderten Produkten“ im Rahmen einer Transatlantischen Freihandelszone auflösen zu können.(9)

Ein zweites wichtiges Thema ist die Nutzung beziehungsweise der Schutz privater Daten. Eine anonyme Koalition von Internet- und IT-Unternehmen, die sogenannte Digital Trade Coalition, wünscht, dass die EU-Datenschutzregeln nicht den Abfluss von persönlichen Daten in die USA behindern. Diese Lobby der Internetbranche erklärt, die aktuelle Einschätzung der EU, dass die USA keinen angemessenen Schutz der Privatsphäre gewährleisten würden, sei für sie „nicht einsichtig“. Angesichts der immer neuen Enthüllungen über die massive Datenspionage ist eine solche Äußerung besonders aufschlussreich. Auch der mächtige U.S. Council for International Business (USCIB) mahnt an, das Tafta-Abkommen müsse Ausnahmeklauseln im Bereich Sicherheit und Privatsphäre sehr eng fassen, „damit diese nicht als verkappte Handelshindernisse benutzt werden können“.(10) Dazu muss man wissen, dass dem USCIB Unternehmen wie Verizon angehören, die der NSA massenhaft personenbezogene Daten zugeliefert haben.

Ein drittes Angriffsziel ist die Lebensmittelsicherheit. Hier will die US-Fleischindustrie die Verhandlungen nutzen, um das EU-Verbot für mit Chlor und anderen Desinfektionsmitteln behandeltes Hähnchenfleisch zu kippen. Während die strengeren EU-Standards die Gefahr einer Kontaminierung der Produkte während des Schlacht- und Verarbeitungsprozesses reduzieren, begegnen die US-Regeln dem Kontaminierungsrisiko durch ein Desinfektionsbad, das Koli- und andere Bakterien auf den Hähnchenteilen abtöten soll. Also fordert der Mutterkonzern der Restaurantkette Kentucky Fried-Chicken, das Abkommen müsse die EU-Standards für Lebensmittelsicherheit so verändern, dass die Europäer ihre Chlorhähnchen kaufen können.

Noch ein Beispiel: Das amerikanische Fleischinstitut (AMI) empört sich, die Europäische Union bestehe auf ihrem „ungerechtfertigten“ Verbot von Fleisch, das unter Einsatz von Wachstumshormonen erzeugt wurde. Diese Mittel, wie etwa Ractopamin, sind wegen der Gesundheitsrisiken für Mensch und Tier in 160 Staaten – darunter allen EU-Ländern, aber auch Russland und China – verboten oder eingeschränkt. Auch der Verband der US-amerikanischen Schweinefleischproduzenten (NPPC) hat seine Wünsche: „Die US-Schweinefleischproduzenten werden ein Ergebnis nur akzeptieren, wenn es das EU-Verbot für den Einsatz von Ractopoamin im Produktionsprozess beseitigt.“

Auf der anderen Seite des Atlantiks bekämpft BusinessEurope, der größte Unternehmensverband der EU, das US-Gesetz über die Modernisierung der Lebensmittelsicherheit als eines der „zentralen nicht handelsbezogenen Hindernisse für EU-Exporte in die USA“. Dieses bahnbrechende Gesetz von 2011 ermächtigt die US-Kontrollbehörde, die Food and Drug Administration, kontaminierte Nahrungsmittel vom Markt zu nehmen. Dieses Recht wollen die europäischen Unternehmen offenbar mithilfe der TTIP-Tafta-Vereinbarung abschaffen.

Das vierte Ziel ist die Liquidierung der Klimapolitik. …“

Auszug aus einem Artikel in der deutschen Ausgabe von
Le Monde diplomatique“ vom 08.11.2013
zum geplanten Freihandelsabkommen
zwischen EU und USA (TTIP-Tafta)
(vollständiger Artikel).